Nun waren wir also in Riga angekommen. Riga ist die Hauptstadt Lettlands und mit rund 700.000 Einwohnern größte Stadt des Baltikums. Mit etwa einer Million Einwohnern im Großraum ist Riga zudem der größte Ballungsraum in den drei baltischen Staaten. Riga ist politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Landes. Die alte Hansestadt ist berühmt für ihre Jugendstilbauten und ihre großzügige Anlage sowie für die gut erhaltene Altstadt. Unser Morgenspaziergang unter der Leitung von Grazina führte uns deshalb in einen Bereich mit besonders schönen Jugendstilhäuser.
Sie machte uns durch ihre Erzählungen auch mit Michail Ossipowitsch Eisenstein bekannt, dem Architekten vieler Jugendstilgebäude in Riga. Eisenstein widersetzte sich mit seiner Jugendstilarchitektur der seinerzeit in Riga vorherrschenden neoklassizistischen Bauweise nach Sankt Petersburger Vorbild. Zu Beginn seiner Architektenlaufbahn wurde Eisenstein als „verrückter Zuckerbäcker“ verspottet; als „Architekt des Jugendstils“ wurden ihm später jedoch viele Ehrungen und Auszeichnungen zuteil.
Eisenstein entwarf seine Häuser beginnend mit der reichverzierten Fassade, deren Details er peinlich genau zeichnete. Erst danach plante er den Rest „hinter der Fassade“. Mit mehr als fünfzig von ihm entworfenen Häusern prägte er das Stadtbild der Neustadt von Riga entscheidend. Heute steht die Neustadt unter dem Schutz des UNESCO-Welterbes.
Unser Stadtspaziergang brachte uns danach zum Freiheitsdenkmal, das zu Zeiten der ersten lettischen Unabhängigkeit in den Jahren 1931 bis 1935, errichtet wurde. Das Denkmal blieb auch während der deutschen und später der sowjetischen Besatzung Lettlands unberührt, obwohl es gerade der sowjetischen Staatsführung ein Dorn im Auge war. Grazina erzählte uns von den Bemühungen der sowjetischen Besatzer, das Denkmal abzureißen unter Hinweis auf die Verkehrsbehinderung die es darstellte. Die Stadtführung verbot daraufhin die Vorbeifahrt an dem Denkmal und erklärte schlitzohrig den Bereich zur Fußgängerzone. So blieb das Denkmal stehen.
Danach gingen wir zum Rathausplatz und damit auch Schwarzhäupterhaus, das 1334 als das „Neue Haus der Großen Gilde“ erstmals urkundlich erwähnt. Es diente sowohl den Kaufleuten als auch der vorwiegend deutschen Bürgerschaft Rigas für Zusammenkünfte. Es entspricht den in anderen Städten zur damaligen Zeit errichteten Artushöfen. Das im gotischen Stil errichtete Haus entsprach mit seinem steilen Giebeldach, dessen First die stattliche Höhe von 27 Metern erreichte, einem mittelalterlichen Wohnhaus.
Nachdem das Haus am 29. Juni 1941 durch den Beschuss deutscher Truppen zerstört wurde, sprengte man nach Kriegsende auch die verbliebene Ruine aufgrund schwerer Beschädigungen. Erst in Vorbereitung auf die 800-Jahr-Feier Rigas wurde das Gebäude zwischen 1993 und 1999 in nur siebenjähriger Bauzeit originalgetreu rekonstruiert. Die reich mit Skulpturen und Reliefs verzierte Giebelfassade des Gebäudes, das nach dem Vorbild holländisch-flämischer Zunfthäuser im manieristischen Stil umgestaltet wurde, ist wieder Symbol und eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Riga.
Danach gingen wir hinüber zum Dom St. Marien. Der Dom ist die Kathedralkirche der Evangelisch-Lutherischen Kirche Lettlands und gleichzeitig die größte baltische Kirche.
Der Rigaer Dom wurde auf Veranlassung des ersten Bischofs von Riga, Albert von Buxthoeven, erbaut. Nach einer Urkunde vom 25. Juli 1211, deren Echtheit allerdings umstritten ist, legte er am selben Tag den Grundstein für ein Kloster und eine angrenzende Kirche. Ein Weihedatum ist nicht überliefert; jedenfalls war der Dom im Jahre 1226 so weit fertiggestellt, dass darin eine Synode stattfinden konnte, an der Wilhelm von Modena als päpstlicher Legat teilnahm.
1882/1883 baute die Orgelbauwerkstatt Walcker aus Ludwigsburg die jetzige Orgel mit 6718 Pfeifen, 124 Registern auf 4 Manualen und Pedal. Sie wurde am 31. Januar 1884 eingeweiht und war zu diesem Zeitpunkt die größte Orgel der Welt. Dabei blieb der üppige frühbarocke Prospekt des Vorgängerinstrumentes erhalten, das Jakob Raab aus Lübeck geschaffen und im Jahre 1601 fertiggestellt hatte. Es ist der älteste Orgelprospekt des Baltikums und einer der ältesten Orgelprospekte weltweit.
Während des Rückweges zum Hotel kamen wir an einem kleinen Cafe` vorbei, in dem wir um Kaffee und ein Stück Schokoladenkuchen ersuchten. Die Bitte wurde uns gewährt und so saßen wir entspannt unmittelbar vor der Freiheitsdenkmal. Während der zweite Tasse Kaffee verfinsterte sich der Himmel zunehmend. Wir waren aber noch nicht gewillt den Tisch zu räumen, es saß sich doch so nett.
Als wir dann endlich losgingen, traf uns der einsetzende Regen nicht wirklich unerwartet, aber doch mit großer Wassermenge. Wir schlängelten uns – Schutz vor dem Wasser suchend – an Häuserwänden entlang, standen längere Zeit bei einem Kiosk unter und erreichten das Hotel nur mittelgradig durchnässt. Abends wollten wir auswärts essen gehen und machten uns auf den Weg in Richtung des "flying frog“ den Grazina empfohlen hatte. Dort war es voll und direkt gegenüber gefiel uns die Weinauswahl besser. So landeten wir im "beer house olivers", das entgegen der Namensgebung ein gutes Speiserestaurant war.
Am nächsten Morgen war unser erstes Ziel Sigulda. Die ältesten archäologischen Funde in Siguldas Umgebung gehen auf 200 v. Chr. zurück. Sie stammen von Siedlern, die Jäger und Sammler waren und Viehzucht betrieben. Vom 6. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. siedelten sich hier Semgallen an, wie einige Grabhügel und die Reste eines Bauerngehöfts beweisen. Wir besuchten die Ordensburg, bzw. deren Reste.
Weiter ging es zur Gutmannshöhle, die eine Höhle ganz in der Nähe der Stadt Sigulda unweit der Burg Turaida (dazu gleich mehr) am Ufer der Gauja am Rande des 1974 gegründeten Gauja-Nationalparks ist. Das Tal der Gauja entstand zum Ende der letzten Eiszeit. Der Fluss formte in dem hügeligen, von rotgelbem Buntsandstein geprägten Gelände ein im Baltikum einzigartiges Erosionstal mit kleinen Höhlen, Grotten und überhängenden Felspartien. Mit bis zu 85 Meter hohen Felswänden und lichten Wäldern ist der Bereich der Gutmannshöhle landschaftlich ansprechend.
Die mit einem etwa 10 Meter hohen „Mundloch“ im Gelände stets auffällige Höhle ist seit Jahrhunderten Ziel von Besuchern, sie diente als Notquartier und Jagdlager, inzwischen wird sie als eine Touristenattraktion im Nationalpark angepriesen. Am Eingang und im Inneren der Höhle, zum Teil an unzugänglichen Stellen, sind zahllose Zirkel und Wappen von Studentenverbindungen eingekratzt. Sie stammen aus den 100 Jahren von 1840 bis 1940; viele Zahlen sind trotz der Verwitterung noch gut lesbar.
Nur kurz war die Fahrt zu Burg Turaida. Der Name Turaida kommt vom livischen „Tarapita“ und wird als Gottesgarten übersetzt. Auf Anordnung des Erzbischofs Albert von Riga ließ Bischof Philipp von Ratzeburg im Jahre 1214 die Burg Fredeland auf den Resten einer livischen Holzburg errichten; sie diente auch als Gegengewicht zur Burg des Schwertbrüderordens am gegenüberliegenden Ufer des Flusses. Die Anlage war recht langgezogen, am besten erklärt sie sich durch das folgende Panorama und das später folgende „Luftbild“ von Astrid.
Die Burg war bewohnt, bis sie im Jahr 1776 mit Ausnahme des Turms abbrannte. Seit 1953 wird die Anlage rekonstruiert; heute ist sie mit Museum, Park, Skulpturengarten, Holzkirche und einigen rekonstruierten Bauernhäusern aus dem 18. und 19. Jahrhundert ein beliebter Ausflugsort. Während ich mich von den Strapazen des Panoramas erholte, kletterte Astrid den Turm hinauf und deswegen wir haben nun einen Blick von oben.
Nur eine kurze Fahrt weiter bestaunten wir im Dorf Araisi die Resten einer altlettgallischen Siedlung, einer rekonstruierten, sog. „Seeburg“ aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Sie bestand ehemals aus mehr als 150 Wohn- Wirtschafts- und Wehrbauten.
Nach der Besichtigung der Holzbauten hatten wir noch etwas Zeit, schlenderten in die etwas weitere Umgebung und fanden schließlich diesen Ausblick, der die Lage der „Seeburg“ gut erkennen lässt.
Unser letztes Ziel am heutigen Tag war Cesis, eine der ältesten Städte Lettlands. Cēsis wurde 1224 erstmals urkundlich erwähnt. Die älteste Siedlung in Cēsis war eine hölzerne Befestigungsanlage der Lettgallen auf einem Hügel neben dem heutigen Schlosspark. Wir stiegen am Schlosspark aus dem Bus und gingen langsam in Richtung Burghügel.
Bereits vom Ende des 16. Jahrhunderts an waren die Burggebäude den Erfordernissen des Gutes angepasst worden. Als das Anwesen 1777 durch den Grafen Karl von Sievers übernommen wurde, baute dieser sein neues Wohngebäude an die Ostseite der Burg, mit der rückwärtigen Wand an deren Befestigungsturm. An der Burg gab es umfangreiche Restaurierungsarbeiten, sodass uns nur ein Blick von außen blieb.
Wir besuchten danach intensiv die örtliche Apotheke, um uns Mittel gegen Husten, Schnupfen und Heiserkeit zu besorgen, die seit einigen Tage Besitz von uns ergriffen hatten.
Am nächsten Tag packten wir wieder unsere Koffer, denn wir würden Lettland heute verlassen. Auf dem Weg nach Litauen besuchten wir als erstes das Schloss Jelgava, das größte Barockschloss im Baltikum. Es wurde im 18. Jahrhundert nach Plänen von Bartolomeo Francesco Rastrelli als Herrschersitz der Herzöge von Kurland und Semgallen in ihrer Hauptstadt Mitau (heute: Jelgava) errichtet.
Schloss Jelgava wird nicht zu Rastrellis besseren Gebäuden gezählt. Kritikern missfällt die eher langweilige Fassade, der die abwechslungsreiche Formenvielfalt abgeht, die Rastrellis Arbeiten für Zarin Elisabeth auszeichnet. Von historischer Bedeutung ist allerdings die Gruft der Herzöge von Kurland und Semgallen im südwestlichen Untergeschoss. Alle Herzöge aus den Häusern Kettler und Biron wurden hier zwischen 1569 und 1791 bestattet. Die Räumlichkeiten enthalten 21 steinerne Sarkophage und neun hölzerne Särge.
Unser Aufenthalt war nur kurz, bald fuhren wir weiter nach Rundāle. Das Schloss Rundāle gehört zu den bedeutendsten Baudenkmälern des Barocks und des Rokoko in Lettland. Es wurde nach dem Vorbild des französischen Schlosses Versailles gestaltet. Das dreiflüglige und zweistöckige Schloss beherbergt auf fast 7000 m² 138 Zimmer und Säle.
Der Bau des Schlosses wurde von der russischen Zarin Anna Iwanowna veranlasst und sollte als Sommerresidenz des kurländischen Herzogs Ernst Johann Biron dienen. Mit dem Entwurf wurde der russisch-italienische Architekt und Baumeister am Zarenhof Bartolomeo Francesco Rastrelli beauftragt, der bereits die Pläne für den Winterpalast der Eremitage in St. Petersburg erstellt hatte. Der Grundstein wurde 1735 gelegt, die Bauarbeiten dauerten zunächst bis 1740. Wir gingen hinein und fanden uns bald in der von russischen Palästen gewohnten üppigen Ausgestaltung der Räume wieder.
Das Schlossmuseum Rundāle ist eine Forschungsstelle für die ältere Kunstgeschichte Lettlands. Es beherbergt die Ausstellung „Kunstschätze im Schloss Rundāle“. Diese enthält Exponate der Kunst Europas und des Ostens aus der Zeit von vier Jahrhunderten. Ausgestellt sind Möbel, Porzellan, Silber, Gemälde und Hinterlassenschaften der kurländischen Herzöge.
Nach den umfangreichen Renovierungen, bei denen auch die ursprünglichen und wertvollen Seidentapeten erneuert wurden, sind der Goldene und der Weiße Saal in ihrem ursprünglichen Prunk der Öffentlichkeit zugänglich.
Zwischen allen kunsthistorisch interessanten Exponaten fand ich es interessant und amüsant in einem der Räume aufgezeigt zu bekommen, wo Herzog und Fürst hingehen, wenn sie mal wohin müssen. Unsere heutigen keramischen Lösungen sind mir da doch lieber.
Der Schlosspark ist ebenfalls im französischen Stil angelegt. Der zehn Hektar große Park vervollständigt das Gesamtkonzept von Schloss Rundale. Der riesige Garten entstand zwischen 1736 und 1740 und wurde von Rastrelli selbst im französischen Stil konzipiert. Bis 1739 pflanzten die Gärtner knapp 39 000 Linden, 500 Kastanien und fast 200 Eichen.
Nach einer kurzen Rast im Park gingen wir zum Bus zurück und fuhren weiter zu unserem letzten Etappenziel des heutigen Tages, dem Berg der Kreuze. Der Berg gehört bereits zu Litauen. Ich hatte mir bei diesem Namen keine großen Gedanken gemacht, was uns erwartet, vielleicht drei Kreuze auf einem Hügel, mit einer Inschrift auf einer Tafel. Aber es kam ganz anders. Langsam gingen wir auf den Berg der Kreuze zu.
Der Berg liegt ca. 12 km nördlich von Šiauliai. Die Bezeichnung Berg der Kreuze ist zwar im deutschen Sprachgebrauch üblich, aber aufgrund seiner geringen Höhe von zehn Metern kommt die Bezeichnung Hügel jedoch näher. Und auf diesem Hügel standen, lagen, hingen Kreuze jeder erdenklichen Größe, Farbe und Form.
Wie kommt es nun zu diesem Phänomen? Nach der Dritten Polnischen Teilung wurde Litauen Teil des Russischen Reiches. In der Folgezeit rebellierten Polen und Litauer zweimal gegen die Russische Obrigkeit und zwar im Novemberaufstand der Jahre 1830/31 sowie im Januaraufstand 1863/64. Beide Aufstände gegen das zaristische Regime wurden blutig niedergeschlagen. Zu dieser Zeit sollen die Bewohner der Umgebung begonnen haben, auf dem Hügel Kreuze für ihre bei den Aufständen getöteten Angehörigen aufzustellen, von denen sie nicht wussten, wo sie begraben sind. Andere Quellen gehen davon aus, dass die Aufständischen auf dem Hügel hingerichtet wurden.
1900 standen 150 und 1940 etwa 400 Kreuze auf dem Hügel. 1990 soll es bereits 40.000 Kreuze auf dem Hügel gegeben haben. Zusätzlich stieg die Zahl der Kreuze als im Januar 1991 im Kampf um die nationale Unabhängigkeit Litauens vierzehn Menschen bei der Erstürmung des Fernsehturms in Vilnius durch sowjetische Spezialtruppen ihr Leben lassen mussten. Anfang der 1990er Jahre wurde von Studenten der Universität Vilnius ein Versuch unternommen, die Zahl der Kreuze, die sich inzwischen auf einer Fläche von einem Hektar neben dem Hügel ausbreiten, zu bestimmen. Bei 50.000 Kreuzen haben sie zu zählen aufgehört. Nicht mit einbezogen wurden damals die kleinen Kreuzanhänger und Rosenkränze, die an größere Kreuze gehängt werden.
Wir gingen nach unserem Besuch beim Hügel durchaus innerlich angerührt zum Bus zurück und fuhren weiter nach Vilnius.
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